Letzter Ausweg?
Jetzt bin
ich hier in der Klinik. Eingeschlossen. Werde mit Medikament vollgestopft und
bin ganz apathisch. Wie kam es so weit?
Ich bin José. Ramon nannte mich immer "Der starke Bär",
weil ich einen Bären auftatouiert habe auf dem linken Knöchel. Ich
der ich einen so schönen Körper habe, nein hatte, dass ich mich immer
so gerne anschaute im Reservoir, wo das Trinkwasser in unserer Stadt immer so
offen daliegt, oder im Spiegel eines Modegeschäfts, wo ich immer was mitlaufen
liess.
So heruntergekommen bin ich. Und so ausgehungert. Irgend so eine Krankheit.
Habe mich versteckt vor Daniel, bin weggerannt, und er sucht mich verzweifelt,
würde alles tun um mich wieder zu finden. Ich habe es schon mehrfach gehört,
dass er überall nach mir fragt, und von niemand andrem etwas hören
will. Vielleicht liebt er mich, obgleich ich ihm nicht treu geblieben bin. Nicht
freiwillig, nein gezwungen. Und dieser Jiminez hat mir eine tödliche Krankheit
angesteckt. Die im Spital haben es mir nur mit gespitzten Lippen mitgeteilt,
weit weg von mir stehend, haben mir irgend so ein Heim katholischer Mönche
angeben, wo sie mich noch aufnehmen würden. Der Staat kennt solche die
sich von meiner Krankheit anstecken lassen, überhaupt nicht. Und die Mönche
würden würden mir insbesondere die Seele waschen. Und eine Heilung
für die Krankheit gibt's sicher nicht. Hat mir wenigstens ein Kollege mitgeteilt.
Ich glaub ihm eher als gewissen missionarischen Heuchler. Ich habe mich bis
anhin immer selbständig im Leben durchgeschlagen und will nicht noch im
letzten Moment mich in Abhängigkeit von religiösen Bewegungen zu begeben.
Die Krankheit hat mir so zugesetzt. Besonders jetzt merke ich, jetzt, wo mein
ganzer Körper rasiert ist, rasiert unter den Achseln, den rücken herunter,
auf den Achseln, auf den Schultern, die Waden, die Schenkel hinunter, am kleinen
Dreieck des Pos, und ich sehe es wirklich, im kleinen klappbaren Spiegel, den
mir Ruez gegeben hat, auch er schon geklaut, denn was können wir uns denn
schon kaufen, wir! Ich sehe wie es kahl ist, unten im Spalt, im Löchlein,
das Säcklein ist blutt, dunkelpfirsichrot blutt, wie auch die ganze pfirsichrote
Haut glatt, ohne dunkle Härchen, ein anziehendes Rehkälbchen, wie
mich der Herr nannte. Wenn es nur nicht diese dunkelgelben verdorrten Blasen
hätte, am ganzen Körper verteilt, die mich so verunstalten! Nein,
so wird mich Ramon nicht mehr lieben können, und nachdem wir uns so geliebt
haben, bevor er abreiste nach Moskau, dieses wunderbare Ereignis, dass ich erleben
durfte, will ich nicht noch nachträglich vermiesen, denn Ramon wird mir
höchstens mit Mitleid, einem mitleidigen Abscheu begegnen können.
Das will ich nicht mehr erleben.
Ich bin ja dieser José, der Engel der Lüste, mit seinen langen rostbraunen
Haaren, die herabfallen bis auf die Schultern, den herzigen Pobacken, dem säuselnden
... (na, was wollt ihr sonst noch hören, ihr seid sowieso vom anderen Ufer,
ihr könnt Euch scheint's nichts machen von uns.)
Aber ich, ich brauchte Arbeit. Habe kein Geld auf der Seite, denn jeden Rappen
lieferte ich aus diesem Jiminez der mich sogenannt beschützte.
Als ich als Kind noch illegal nach Mexiko kam, um meinem Elend zu entkommen,
fiel ich in seine Fänge. Er missbrauchte meinen Körper in seinen Freierparties
als wandelnder Tisch, als wandelnder Aschenbecher, der auf Kommando auf den
Raucher sich zubewegte, wie eine riesige Vogelspinne ohne Haare, die Beine und
Arme sich am Boden festkrallend, alle intimen Teile ausgestellt. Das war früher
noch. Bevor ich Ramon kennenlernte. Bevor ich versuchte Jiminez untreu zu werden.
Oder eher hoffte endlich seinen elenden Klauen entkommen zu sein. Bevor er versuchte
mich zu töten am Lago Chapultapec. Als er noch Parties warf um sich Kundschaft
zu verschaffen. Doch jetzt bin ich nicht mehr gewünscht, mit meinem hässlichen
Körper. Ich habe ihn gesucht. Aber niemand will mir Auskunft geben. Muss
er untertauchen? Will er nichts mehr von mir wissen? Und jetzt muss ich selbst
suchen. Ich brauche Liebhaber die mich bezahlen! Und jetzt, will mich ja keiner
mehr. Ich bin ja nicht so dumm. Natürlich kleide ich mich so ein, dass
niemand sieht dass ich krank bin. Meine Reize muss ich natürlich auch abdecken,
und niemand will mich mehr.
Und schon bin ich auf der Strasse. Stehe am Trottoir, wie so ein gewöhnlicher
Strichjunge, Einzelaufpicker. Ich ducke mich immer, wenn ich einen anderen von
der meiner ehemaligen Gruppe sehe, ich nicht dass sie mich sehen und auslachen,
mich vor den Freiern als suspekt darstelle. Die haben immer so Angst vor Krankheiten,
bringen uns die Krankheit die selbst. Jetzt stehe ich da, mich ausstellend,
mich räkelnd, die Teile, die ich als die ausladensten anschaue, ausstellend.
Meine Fieberblattern habe ich gut verdeckt, die Kleider sind nur dort rar, wo
sie nicht sind und bringen meine schöne, reine glatte Haut gut zum Ausdruck.
Plötzlich, ich ducke mich, denn da erscheint Gianno, der der giftigste
ist von allen! Geduckt drehe ich meinen Körper, stehe auf, bin gerade gegenüber
einem dicken, Teutonen, mit vierreckigem Kopf, Bürstenschnitt, voll herausstehenden
Säcken. Der fühlt sich angezogen von mir, schon glaube ich, einen
guten Lohn hereingezogen zu haben. Doch er wendet sich ab. Ich fühle diesen
Gianni, nicht weit von mir. Und da steht er, ist gerade am aufstehen. Dieser
Säckel, hat meine satt anstehende Jeanshose zehn Zentimeter hinaufgezogen
und spüre, wie meine gelben Blasen voll ausgestellt sind. Ich ziehe die
Hosen hinauf, und renne hinweg. Schon wieder eine verschwundene Fata Morgana.
Ich werde nie mehr was verdienen können, mein Magen knurrt. Und dann höre
ich die näselnde Stimme Gianni, schon gut, wir wollen Dich nicht hier.
Du hast nichts da zu suchen, hau wieder ab, du vergällst einem die Kunden.
Wieso habe ich keine Freunde mehr. Wo sind meine Freunde jetzt. Wo ist Raùl,
wo Simon. Wieso bin ich so allein. Niemand will mich gern haben diese Krankheit
hat bereits meinen letzten Zapfen herausgedrückt. Mit allen Finger meiner
Linken drücke auf mein Hosenbein, da wo der Hosensack ist, auf das Päckchen
wo ich die Rasierklingen haben. Ich will es machen, will Schluss machen, mit
diesem miserablen Leben. Und jetzt dieser Manuel, der laut nach mir schreit:
"So ist^s gut. verdrück Dich nur und drohe mit diesem Selbstmord!
Tust es ja sowieso nie. Es ist nur, um die Aufmerksamkeit auf Dich zu lenken."
Ich schau um mich. Wieder waren alle die nächsten Kollegen um mich, es
ist wie verhext, wie wenn sie mir auf den Hals gehetzt würden. Doch jetzt
werde ich's tun. Ich hab's beschlossen. Habe eine Flasche Rum, die noch halbvoll
am Strassenrand stand, ganz gelehrt. Doch nur angeschrieben war's als Rum. Das
Gesöff war bitter und ist viel stärker. Irgendwie war da ein ganz
gefährliches Gebräu drin. Ich bin voll besoffen. Und ich fühle
mich frei. Fühle wie alle meine Fesseln die mich an die Gesellschaft, mich
zwingen, mich wie ein lieber Junge zu verhalten sich lösen. Ruft mir da
nicht Ramon. Nein! Er sieht mich nicht. Sucht mich sicher nicht. Steht auf der
anderen Seite und redet mit einem Polizisten. Schaut nicht zu mir hinüber.
Doch was soll's! Soll mich auch dieser Kerl kennenlernen. Ich spiele nicht mit.
Ich will ihn in
Verlegenheit bringen. Ich öffne mein Hemd, so dass meine Brust mit den
vielen Fieberblasen voll zur Geltung kommt, renne über die Strasse zu ihm
und voll in ein Töff hinein. Der kann gerade noch ausweichen, doch eine
der Schrauben hat sich in meiner Gürtelhalteschnalle verklemmt. Ich falle
um, werde noch einige Meter hinter dem Töff her geschleift bis die Schnalle
platzt. Die Hose ist futsch, aufgeschlitzt, der Pullover hängt in dünnen
Streifen hinab, ist fast geschnetzelt. Natürlich sieht man jetzt meine
Fieberbläschen voll und ganz. Und ich ganz sie nicht mehr unter meinen
Kleidern verstecken. Doch dank dem Schutz der Himmlischen bin ich nicht stark
verletzt. Einige Prellungen und Schürfungen. Der Töfffahrer hat nun
angehalten, schaut nach hinten, auf mein nach Alkohol stinkendes Häuflein
Elend. Er überlegt. Soll er die Polizei rufen, So einen, der schon am frühen
Morgen besoffen auf die Strasse rennt. Er schaut seinen Töff überall
an. Nichts, nur der Riss den es auf die Karosserie gab, als Onkel Juan sein
volles Weinglas darüber zerbrach. Er denkt: Das gibt nur Scherereien, Stundenlang
im Polizeibüro hocken, eventuell noch eine Busse. Nein, das braucht er
nicht, steigt wieder auf sein Töff und fährt davon. Mir hat's nur
Prellungen und Schürfungen abgegeben, eine Fieberblase ist geplatzt. Sonst
hat's nichts gemacht, ausser den zerflitzten Kleiden. Ramon hat nicht beachtet.
Seelenruhig spricht er weiter mit dem Polizisten. Ich weine. Die Tränen
laufen mir nur so hinab. Wieder eine Hoffung, die nichts war. Ich gebs wirklich
auf. Ich stehe auf und gehe weiter. In zerfetzten Kleidern, die nackte Haut
ausgestellt, die Fieberbläschen voll zur Schau gestellt, die Haare ganz
wirr und schmutzig lang herabhängend über die Schultern, über
die Brust, so wie der Clochard, den ich halt eben bin. Der Schmutz der Strasse
klebt auf meinem Körper, der Schweiss (ich habe offensichtlich aus Angst
noch geschwitzt) klebt an mir und stinkt. Ein Bad oder eine Dusche bräuchte
ich. Doch ich kann mir so einen Luxus nicht mehr leisten. Ich verdiene ja auch
nichts mehr. Lebe unter einer Brücke in einer alten Kartonschachtel. Und
so wie ich jetzt bin, bin ich allen ein Gräuel und kann mich sicher nicht
verkuppeln. Die Leute, die mich kreuzen, rümpfen die Nase, machen einen
weiten Rund um mich.
Doch halt, ich stoppe. Da scheint sich wirklich noch einer für mich zu
interessieren! Ein Tourist, angetan mit einer Lederjacke, einem Ohrringchen,
das dem Fünfzigjährigen wirklich schlecht ansteht. Der steht auf jungem
Kraut. Vielleicht kann ich den noch angeln. Der realisiert offensichtlich aus
lauter Gier nicht, dass ich krank bin. Ich stehe still, schaue mit dem bewussten
unschuldigen Blick verlangend zurück, lasse ihn aufholen zu mir. Räkle
meinen Körper, strecke meine Hand nach ihm, tastend nach seinem Hosenladen,
öffne meinen Mund, schlecke meine Lippen mit meiner Zunge. Endlich eine
Möglichkeit, etwas zu verdienen. Schon stelle ich mir vor, wie ich nach
dem obligaten Zärtlichsein, nachdem ich seine bewusste Stelle geschleckt,
in der Rotkreuzunterkunft für Landstreicher, unter der Dusche stehe, das
warme Wasser über meinen Körper rinnt, ich meine Haare schamponiere
und ich mich endlich wieder sauber fühle. Endlich nicht mehr stinke! Ich
will es für wenig Geld machen. Will's ihm schön machen. Schon drehe
ich mich um, will auf die Knie fallen, um seinen Schlitz zu öffnen, sein
Glied sanft herauszuziehen, es zwischen meine Lippen zu nehmen. Doch er packt
mich an den Schultern. Hindert mich niederzuknien. Schaut mir in die Augen,
so dass ich verschämt wegblicken muss. Nur, als er mir ein Traktätlein
in die Hand drückt, auf mich einspricht mit einem Spanisch mit nasalem
Janketon. Ich beginne zu realisieren, dass ich in eine Falle getappt bin. Anfänglich
kapiere ich nicht recht, was er sagen will, er spricht so unverständlich!
Doch endlich, jetzt blinkts bei mir, ich verstehe ich was er will. Die Sorte
Leute kenne ich. So ein Missionar! Will mich in seine Kirche hinziehen. Wo ich
geheilt werden soll, frommen Geschichten lauschend fröhlich in Gott trauend,
selig zu werden. Auf Knien schuftend dreckige Böden zu reinigen. Am Sonntag
heilige Lieder singend die Trottoirs abklopfend, neue Anhänger suchend.
Das kenne ich. Habe ich schon erlebt. Und mich mit Mühen von diesen Banden,
die die Heiligen um mich legten befreit. Das brauch ich nicht mehr. Lieber verhungere
ich, als mich diesen Bibelversen zitierenden heuchelnden Typen aus dem Jankeparadies
zu verkaufen. Ich fluche, reisse mich los und werfe ihn dabei zu Boden und jetzt
spricht er auf Englisch ein Wort aus, das ihn für immer und ewig in die
Hölle verdammen wird. Fuck me you damned whoremonger. Doch er kann mir
nichts mehr antun. Ich renne weg, nichts wie weg, eine Kurve entlang, den Hang
hinab. Hinter mir höre ich das knirschende Geräusch eines Trams, stoppe,
kehre mich, renne auf die Strasse, dem Knirschen entgegen, das mir vorkommt
wie Gottes Engelchor, springe unter Lebensgefahr in die Strassenbahn. Nach Atem
ringend stehe ich in der Plattform, halte mich fest. Der Schaffner wendet sich
ab von mir. Solche wie ich können sowieso nichts zahlen. Und können
ganz schön aggressiv werden wenn man die Taxe von ihnen verlangt. Schon
früh am morgen sind sie besoffen! Und hat offensichtlich schon Streit gehabt
mit anderen. Der letzte packte ihn an der Gurgel, versuchte ihn ab der Plattform
zu schieben. Schon blickte er hernieder auf die Strassenpflaster, sah die glänzen
Schienen unter sich. Nur mit letzter Kraft konnte er sich am Geländer festklammern,
Dank der Hilfe eines Passagier, der ihn am Arm festhielt und hinaufzog, konnte
er noch im fahrenden Tram wieder hinaufklettern auf die Plattform. Er will sich
nicht noch einmal in Lebensgefahr begeben.
Jetzt bin ich im Tram. Ich atme nervös. Ziehe Luft ein und presse sie wieder
hinaus. Mein knochendürrer Brustkasten schwellt an und wieder ab. Wohin
will ich gehen? Wieso bin ich hier hinauf gesprungen. Ich, der das Geld für
eine Fahrkarte nicht habe. Ich will nur weg aus der Gefahrenzone, das Tram ist
schneller als mein Verfolger, verwischt meine spuren, und ins Tram ist mein
Verfolger nicht gekommen. Er kann nicht so gut turnen wie ich.
Es rattelt, geht um mehrere Kurven. Ich werde durchschüttelt. Das Tram
ist rammvoll, ich stehe zuvorderst beim Eingang, halte mich verkrampft am der
Messingschiene fest. Wenn die dicke Frau in der Mitte niest, gibt's eine Welle
durch die ganze Plattform, verzweifelt halte ich mich fest, wie ich mit dem
Hinterteil aus dem Tram gestossen werde. Und dann, bei einer Kurve, bin ich
so weit draussen, dass ich herniederfalle, aus dem Tram, weit herab aus der
Höhe des Trams, das auf einem hohen Gestell, auf riesigen Rädern dahinfährt.
Ich falle auf den Rücken, mit dem Kopf stosse ich am Randstein auf. Bin
bedämmert, doch es hat mir nicht viel gemacht, gottseidank, die Mütze,
die ich vorhin einem Engländer vom Kopf gestohlen habe, hat sich als Kissen
zwischen meinen Knochen und dem harten Stein gelegt. Und ich bin genügend
weit weg vom Tram geschleudert worden, meine Beine sind weit weg von den Rädern.
Mit Schaudern denke ich daran, was meinem Kollegen Juan widerfahren ist, dem
beide Beine bis zu den Knien weggeschnitten wurden von den scharfen Kanten der
Räder als er aus einem Tram bugsiert wurde, während der Ausweiskontrolle,
als er sich nicht mehr festklammern konnte weil ihn der Kontrolleur bedrängte.
Er, oder vielmehr sein Körperrumpf sitzt nun auf einem Wägelchen und
er bettelt. Er kann nichts anderes mehr. Und sie hätten ihm die Beine retten
können, das weiss ich bestimmt, aber weil der kein Geld hatte, hat ihm
der Spital nur die beiden Stümpfe gereinigt und ihm eine Tetanusspritze
gegeben gegen Wundkrampf, doch er hatte hoch Fieber und erkannte mich nicht,
als ich ihn besuchte. Kaum war er einigermassen hergestellt, entliessen sie
ihn, wir anderen die auf der Strasse lebten mussten ihm sein Wägelchen
beschaffen, ihn die ersten Tage über Wasser halten, bis er seinen Lebensunterhalt
wie gesagt mit betteln selbst leisten konnte. Er verdient nicht schlecht. Denn
die Passanten haben Mitleid mit ihm. Doch er ist nicht mehr selbständig.
Nichts für mich.
So liege ich auf der ausgestreckt auf der Strasse. Doch nicht lange. Denn schon
hupt es. Was sollen die. Ich bewege mich nicht. Mit der Hand lange ich nach
hinten. Es schmerzt ein bisschen, dort wo mein Hals auf den harten Randstein
prallte. Es ist auch ein bisschen feucht, warm und klebrig. Ich schau mir meine
Mütze an. Sie ist ein bisschen befleckt, mit Blut. Aber das Blut ist gestillt
und eine Kruste hat sich gebildet. Das Hupen geht weiter, ist richtig aufdringlich
geworden. Und jetzt sehe ich, wie ich die Augen auf die Seite verdrehe, dass
zwei Polizisten von rechts auf mich zukommen. Ich will aufstehen, schnell, denn
mit Polizisten will ich nichts zu tun haben. Die suchen mich, denn von diesem
Waisenhaus, diesem schlimmen, bin ich weggerannt. Ich muss mich verkrampfen,
um federnd aufzustehen. Ich Gott sei dank kommt jemand vorbei, ein Passant in
Anzug mit Krawatte, der hilft mir aufzustehen. Wie er mich sieht, schreckt er
zurück. Gibt mir noch schnell eine Note in die Hand und wendet sich ab
von mir. Aber schon bin ich auf dem Sprung und nichts wie weg, über die
Strasse gesprungen, und links hinten in eine Querstrasse gerannt. Nach einer
Viertelstunde bleib ich stehen, schaue mich um. Ich bin in einem Hof. Rings
um mich herum hohe Mietshäuser. Balkone. Geschlossene Fensterläden.
Und hinten höre ich die Schritte der Polizisten. Es bleibt nur ein Ausweg.
Die Türe zu einem Mietblock ist offen. Niemand ist da. Komisch. Sonst bewachen
die Ihre Mieter immer. Mindestens ein Portier ist immer herum und immer wenn
ich irgendwo hineinschlüpfen möchte, steht der mir im Weg und behindert
meinen Zugang. Ich schlüpfe hinein und lehne mich mit dem Rücken zur
Wand. Ganz dicht hinan an die Wand. Höre die Schritte. Halte meinen Atem
an, denn ich bin ganz nervös. Doch die Schritte kommen immer näher,
zögern gerade vor der Tür. Sie reden etwas miteinander. Aber im Flüsterton,
ich höre es nicht. (kommen Sie herein? Ich überlege mir fieberhaft
wie ich mich unbemerkt davonschleichen kann. Doch wie? Ich bin auch nur ein
Mensch, habe keine Flügel, bin nicht unsichtbar und müsste mich in
ihr Blickfeld begeben.) Mein Herz schlägt und ich höre es ganz gut.
Können sie es auch hören? Falle ich auf?) Doch plötzlich tönen
die Schritte wieder und sie gehen weg von der Tür. Ich atme auf. Wieder
mal bin ich davongekommen.
Doch es war zu früh. Ich höre Schritte diesmal von der Seite der Treppe,
will wegrennen! Zu spät. Ich werde gepackt an meinen Armen von zwei starken
Händen und hinaufgehoben. Wie es diese Häscher seinerzeit taten, als
sie mich abholten bei Ramon. Ich kann nichts mehr machen. Der, der mich packte,
trägt mich die Treppe hinab, stösst mich in eine dunkle Kammer und
schliesst die Türe. Umsonst habe ich versucht mich anzubiedern bei ihm.
Er wollte nichts von mir. Obwohl, instinktiv spüre ich, es ist ein potentieller
Kunde von mir. Und so sitze ich, auf einem kalten, erdigen Boden, spüre,
wie die Kälte und Nässe langsam meinen Körper entlang hinauf
streicht, wie mein ganzer Körper kalt wird. Ich schnuppere, nichts, ich
spüre um mich mit meinen Händen, spüre etwas an der linken Hand,
es ist auch kalt aber trocken. Ich halte meine Hand mit dem runden Knollen an
meine Nase meinen Mund, es ist trocken, glatt und meine Zunge leckt daran. Was
könnte es sein? Jetzt fällt es mir auf. Es ist ein Stück Kohle.
Kohle ist dreckig. Ich lasse es fallen und jetzt endlich dämmert es mir.
Ich weine, die Tränen kollern hinab über meine Wangen. Ich bin eingeschlossen
in einem Kohlenkeller. Und ich bin so hässlich geworden, der, der mich
gepackt hat, der war auch im Maffiaring. Der war doch immer so verrückt.
Wollte immer und überall Sex wenn man ihm in die Arme lief. Und mich hat
er einfach wie etwas Dreckiges behandelt und im Kohlenkeller eingeschlossen.
Was soll ich machen? Alles ist verloren.
Jetzt spüre ich das Päckchen Rasierklingen in meinem Hosensack. Nehme es heraus, und schneide mir am Handgelenk die Arterien auf. Ich spüre wie das Blut herabtropft. Über meine Hände. Ich schneide wie rasend tiefer in meine Haut. Lange mit dem Arm nach Hinten an meinen Nacken. Ich spüre das verkrustete Blut an meinem Nacken und schneide da hinein, tief und es tut weh. Und will nach vorne, meine Kehle aufschneiden. Da geht die Türe auf. Ein Licht blendet mir. Jemand schreit laut auf. Weiblich ist der Schrei. Aber starke männliche Arme packen mich und tragen mich heraus. Ich habe solche Schmerzen, ich falle in Ohnmacht.
Wie ich
aufwache, ist es dunkle Nacht. Ich bin irgendwo am Strand an einem See. Es fliesst
aus meinen Adern. Aber ich will nicht mehr sterben. Ich stehe auf und gehe langsam
auf ein Licht zu.
Der Zufall will es, dass es ein Arztkabinett war, wo ich schlussendlich landete.